Tierschutz in der Schafhaltung: Geltendes Recht – Bindende Leitlinien und Bestimmungen
Im Folgenden soll für das Thema Schafhaltung und Lämmeraufzucht ein kurzer Überblick über die einschlägigen tierschutzrechtlichen Bestimmungen und Vorschriften gegeben werden.
Selbstverständlich sind hier an erster Stelle die Regelungen des Tierschutzgesetzes (TierSchG) zu nennen, wobei dort insbesondere auf folgende Bestimmungen hinzuweisen ist:
§ 2 (Erfordernis artgerechter Haltung), § 17 (Straftatbestand Tierquälerei), § 18 (Tatbestand Ordnungswidrigkeit) und § 16a (Anordnungsbefugnisse der Veterinärbehörden). Insbesondere § 2 des Tierschutzgesetzes (Artgerechte Haltung) bedarf auch bei Schafen einer genaueren Auslegung und Konkretisierung. Dazu wird von Behörden und Gerichten auf die folgenden Bestimmungen und Leitlinien zurückgegriffen:
Hinzuweisen ist zunächst auf die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV). Der allgemeine Teil (§§ 1 bis 4) hat auch für Schafe Geltung und ist bindendes Recht.
Auch die Europaratsempfehlungen Schafe (1992) sind bindendes Recht, wenngleich mit teils sehr vagen Formulierungen. Einige Textabschnitte sind aber konkret anwendbar. Die Europaratsempfehlungen legen nur Mindeststandards fest. Es gelten immer die in konkreten Einzelfall strengsten Empfehlungen und Leitlinien. Soweit also die sich aus § 2 TierSchG ergebenden Gebote und Verbote darüber hinausgehen, geht das Tierschutzgesetz vor (z. B. bei TVT-Merkblättern, siehe unten). (Hirt/Maisack/Moritz, Kommentar zum Tierschutzgesetz, 3. Auflage 2016, § 2 RdNr 53, S. 144-145; ebd. Einführung, RdNr 31 und 33, S. 18-19).
Darüber hinaus werden zur Beurteilung der Frage, was bei einer Schafhaltung Mindeststandard sein muß, von den Behörden und Gerichten zur Konkretisierung der Haltungsanforderungen verschiedene Leitlinien und Empfehlungen herangezogen. Die sogenannten »Merkblätter« der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) oder auch die sogenannten »Niedersächsischen Empfehlungen« wurden zudem in einigen Bundesländern auf Erlassebene für die Veterinärbehörden verbindlich gemacht. Im einzelnen gilt folgendes:
Eine weithin anerkannte und ganz ausgezeichnete Leitlinie bei der Beurteilung von Schafhaltungen sind die sogenannten »Niedersächsischen Empfehlungen« (= »Empfehlungen für die ganzjährige und saisonale Weidehaltung von Schafen« des LAVES in Niedersachsen, aktuelle Fassung von 2009). Diese Leitlinien wurden von einem umfangreichen Expertengremium ausgearbeitet. Verschiedene Verwaltungsgerichte haben diese Leitlinien als sogenanntes »antizipiertes Sachverständigengutachten« anerkannt (z. B. Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 3. März 2010, Az. 11 A 726/09, m.w.N., (Fundstelle: https://openjur.de/u/325216.html); Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 25.3.2004, Az. 2 A 1624/00; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23. Juli 2012, Az. 9 ZB 10.3169 (Anwendbarkeit bestätigt, Fundstelle: juris und openJur 2012, 128296, http://openjur.de/u/541914.html)).
In Niedersachsen sind die o. g. »Empfehlungen für die ganzjährige und saisonale Weidehaltung von Schafen« (1992, 3. Auf. 2009) seit 6.12.1996 per Erlass in Geltung gesetzt, Az. 108-42 507/06-12, dieser wiederholt am 25.05.2009, Az. 204.1-42507/06-25; dadurch besteht eine richtliniengeleitete Selbstbindung der Behörden (Kopien der Erlasse beim Verfasser). Durch diese Erlasse sind die zuständigen Veterinärbehörden zwingend an den Inhalt der »Empfehlungen« gebunden, die dadurch zu verbindlichen Leitlinien werden.
Darüber hinaus wurden auch durch das Hessische Landwirtschaftsministerium (HMUKLV) die niedersächsischen Empfehlungen im Rahmen der Qualitätsmanagementregelungen (QM) für Hessen zur Konkretisierung von § 2 Tierschutzgesetz in Geltung gesetzt. Dadurch besteht auch in Hessen eine entsprechende richtliniengeleitete Selbstbindung der Behörden. Durch diese QM-Regelungen sind in Hessen die zuständigen Veterinärbehörden zwingend an den Inhalt der »Empfehlungen« gebunden, die dadurch auch in Hessen zu verbindlichen Leitlinien werden.
Anm.: Auf dieser Grundlage sind in Hessen bereits Schafherden beschlagnahmt worden, weil die Schafhalter die Tierschutzauflagen bei der Winterlammung nicht eingehalten hatten.
Auch in anderen Bundesländern sind die Niedersächsischen Empfehlungen durch QM-Regelungen für die Behörden verbindlich gemacht worden (Qualitätsmanagement).
In Baden-Württemberg sind die vom Landesbeirat für Tierschutz von Baden-Württemberg unter Mitwirkung des Landwirtschaftsministeriums erarbeiteten und 2008 veröffentlichten »Empfehlungen zur Wanderschafhaltung« sowie »Empfehlungen zur Koppelschafhaltung« bereits 2008 durch das Landwirtschaftsministerium als QM-Schreiben an die Veterinärbehörden gegangen (Qualitätsmanagement). Diese QM-Dokumente sind für die zuständigen Behörden (Veterinärämter) zwingend verbindlich. Dadurch besteht eine richtliniengeleitete Selbstbindung der Behörden, so daß die Empfehlungen zu Leitlinien werden.
Zu den rechtlichen Handhaben für Tierschützer insbesondere gegen die Missstände bei der Winterlammung und der Weidehaltung im Winter gehört namentlich das TVT-Merkblatt 91 (= Merkblatt 91 der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, aktuelle Fassung von 2006) mit dem Titel »Hinweise für die Wanderschafhaltung in der kalten Jahreszeit«. Das Merkblatt gilt auch für die Koppelschafhaltung. In vielen Bundesländern ist dieses Merkblatt zum Schutz der Schafe und Lämmer bei Freilandhaltung im Winter durch die Ministerien für die Veterinärbehörden und Amtstierärzte zu einer rechtlich streng verbindlichen Vorgabe gemacht worden (als Verwaltungsvorschrift oder auf Erlaßebene): Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Saarland, entsprechende Bestimmungen in Hessen und Niedersachsen (jeweils Niedersächsische Empfehlungen, s. o.) und Baden-Württemberg (dortige Empfehlungen des Tierschutzbeirates, s. o.). In diesen Bundesländern werden diese „Hinweise“ für die Veterinärbehörden zu zwingend anzuwendendem Recht – und zwar nicht nur bei der Wanderschafhaltung, sondern auch bei der Koppelschafhaltung. Verschiedene Verwaltungsgerichte haben die Anwendbarkeit des TVT-Merkblattes 91 bestätigt (vgl. z. B. Verwaltungsgericht Ansbach, Bescheid vom 15. Oktober 2012, Az. AN 10 K 11.02174, Fundstelle: https://openjur.de/u/554463.html; oder Verwaltungsgericht Koblenz, Beschluss vom 7. April 2006, Az. 2 L 430/06.KO oder Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 1. Februar 2012, Az. 9 CS 12.87, Anwendbarkeit bestätigt, Fundstelle: openJur 2012, 120723, Fundstelle: http://openjur.de/u/496282.html).
Vgl. dazu ferner eingehend den Fachaufsatz »Winterlammung und Kältetod neugeborener Lämmer“ mit den weiteren Details sowie der Rechtsprechung.
Gleichzeitig verweise ich auf unsere Website zur Tierschutz-Verbandsklage.
Hinweise auf wichtige Problempunkte im Tierschutz bei Schafen finden Sie hier.
Text: Dr. Hilmar Tilgner
Bild: PantherMedia / Klanneke